Moskau/Bonn – Im sibirischen Krasnojarsk entsteht ein Hightech-Cluster nach Vorbild des Silicon Valley. Auch das belarussische Minsk will zum neuen IT-Mekka aufsteigen. Namhafte internationale Konzerne haben bereits Interesse bekundet.
Von Hans-Jürgen Wittmann und Kathleen Beger
Ende Januar liegt die sibirische Stadt Krasnojarsk unter einer meterdicken Schicht aus Schnee und Eis. Das Thermometer fällt bisweilen auf minus 27 Grad Celsius. Doch wer eisige Stille sucht, ist hier falsch: In der Metropole am Jenissej entsteht nämlich ein digitales Tal – ein Prestigeprojekt für ganz Sibirien. Schon der Beginn des Projekts war besonders: Statt wie üblich einen Vertrag auf Papier zu unterzeichnen, hinterließen die Gründerväter der Entwicklungsgesellschaft Jenisejskaja Sibir und 30 weitere russische IT-Firmen ihren digitalen Handabdruck auf einem Bildschirm.
Im digitalen Tal entsteht eine Arena für virtuelle Realität
Ein Bürogebäude steht bereits, darin ist ein Datenverarbeitungszentrum untergebracht. Der Rest des Areals ist eine Baustelle: Dort entsteht beispielsweise die Wohnanlage Nowoostrowski, in der ab 2021 IT-Spezialisten unterkommen sollen. Auch die Vorbereitungen für den Bau des 36 Millionen Euro teuren Technoparks Renowazia, dem Herzstück des Projekts, nehmen Fahrt auf. Im Jahr 2021 sollen die VR-Arena, eine Cyberplattform für virtuelle Realität, und bis 2023 das digitale Businesszentrum Liner für insgesamt 27,6 Millionen Euro entstehen.
Vorbild des digitalen Tals ist das Silicon Valley im US-Bundesstaat Kalifornien. Das sibirische Hightech-Cluster ist Teil des umgerechnet rund 28 Milliarden Euro teuren Investmentprojekts Jenisejskaja Sibir. Damit will die russische Regierung die Wirtschaft der Region Krasnojarsk sowie der Republiken Chakassien und Tuwa modernisieren.
Der Fokus liegt auf Infrastruktur- und Industrieprojekten
Das digitale Tal soll die Entwicklung der Informationstechnologien in den Regionen zusätzlich beschleunigen. Krasnojarsk könnte also schon bald ein gefragtes Zentrum für IT-Firmen sein. Und dafür sorgen, dass die gesamte Region digitale Technologien stärker nutzt und moderne Informationstechnologien in die Unternehmen Einzug halten. Die Entwicklungsgesellschaft bietet günstige Bedingungen für ansiedlungswillige Unternehmen und IT-Spezialisten.
Mehr als 40 Unternehmen haben bereits Interesse am digitalen Tal bekundet. Neben dem chinesischen IT-Giganten Huawei haben russische Softwareunternehmen wie Maxsoft, Atom oder Social Network ihr
Engagement zugesagt. Mit SAP beteiligt sich auch ein deutscher Konzern an dem Projekt und unterstützt die Ausbildung von ITSpezialisten im Cluster. In einem Next-Gen Lab erhalten Lehrkräfte und Studierende der Sibirischen Föderalen Universität Zugang zu SAP-Lösungen, um zu Themen wie maschinellem Lernen, Big Data, Internet der Dinge (IoT) sowie Smart Citys zu forschen und Lösungen zu entwickeln.
Belarus – ein digitaler Senkrechtstarter
Nicht nur das rund 6.000 Kilometer von Deutschland entfernt liegende Krasnojarsk entwickelt sich zum nächsten Silicon Valley. Auch unmittelbar vor den Toren der Europäischen Union tut sich einiges, nämlich im belarussischen Minsk. Die Hauptstadt befindet sich auf dem besten Weg zum neuen IT-Mekka. Bereits im Jahr 2005 entstand in der ehemaligen Sowjetrepublik der Hightechpark HTP.
Damit will Belarus landesweit Unternehmen fördern, die Technologien für künstliche Intelligenz, autonome Fahrzeugsteuerung, Blockchain, Kryptowährungen und Mining sowie Produkte in den Bereichen Medizin- und Biotechnologie und E-Sport entwickeln. Ende Dezember 2019 waren 752 IT-Firmen im Hightechpark vertreten. Die meisten haben ihren Sitz im Großraum Minsk, einige kommen aus Städten wie Brest, Gomel und Grodno. Allein im vergangenen Jahr haben sich mehr Unternehmen im Hightechpark angesiedelt als je zuvor.
Präsident Lukaschenka lockt Investoren mit Steuervergünstigungen
Möglich gemacht hat diese Entwicklung das sogenannte Dekret Nummer 8, das Präsident Aljaksandr Lukaschenka im Dezember 2017 erlassen hatte. Es lockt Ansässige des Hightechparks mit günstigen Lohnnebenkosten, einem reduzierten Einkommensteuersatz von neun Prozent sowie einer Befreiung von Umsatz- und Gewinnsteuer. Das scheint zu wirken: Zuletzt haben sich immer mehr junge Spezialisten selbstständig gemacht und Startups gegründet.
Eigenproduktion statt Outsourcing
Kein Wunder also, dass die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche inzwischen auf einen Anteil von 20 Prozent am Export von Dienstleistungen kommt – mit einem Gesamtwert von etwa 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2019. Schon jetzt trägt sie zu 5,5 Prozent an der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts bei.
Experten erwarten, dass sich dieser Anteil in den kommenden fünf bis zehn Jahren mehr als verdoppeln wird. Es zeichnet sich nämlich eine Trendwende ab: Während Belarus einst vor allem für IT-Outsourcing bekannt war, entstehen mittlerweile immer mehr eigene Produkte im Land. So haben beispielsweise Onlinespiele wie World of Tanks und Apps wie MSQRD, Eightydays oder Flo hier ihren Ursprung. Das Land ist demnach in vielerlei Hinsicht interessant für ausländische Investoren.
„In Minsk gibt es eine gute Mischung aus erfahrenen und jungen Fachkräften.“
Stephan Hoffmann, geschäftsführender Gesellschafter der North IT Group
Einer, der diesen Schritt gewagt und ein Unternehmen in Belarus gegründet hat, ist Stephan Hoffmann, geschäftsführender Gesellschafter der North IT Group. Für ihn liegen die Vorteile auf der Hand: Steuervergünstigungen, niedrige Lohn- und Lohnnebenkosten, konzentriertes Know-how. „In Minsk gibt es eine gute Mischung aus erfahrenen und jungen Fachkräften“, sagt Hoffmann.
Positiv schätzt er auch das Prozedere der Unternehmensgründung und der Aufnahme in den Hightechpark ein. Verbesserungsbedarf sieht er allerdings im Bereich Buchhaltung, da sie sehr komplex ist und hohe Kosten verursacht. Auch Deutschland könnte Hoffmann zufolge von Konzepten wie dem Hightechpark profitieren: „Gerade für die strukturschwachen mitteldeutschen Regionen wäre das Modell eine Chance, um junge Fachkräfte aus dem In- und Ausland anzuziehen und der Start-up-Szene neuen Schwung zu verleihen.“
Dieser Artikel ist zuerst im GTAI-Magazin Markets International 3/2020 erschienen.